Leitfaden Verkehrsunfall – Eingeklemmt

Die Einsatzmeldung Technischen Hilfeleistung ist für viele Feuerwehren keine Seltenheit. Allerdings kann sich hinter diesem Einsatzstichwort eine große Bandbreite an Szenarien verstecken, für die es jeweils eines angepassten Vorgehens bedarf. Ein in vielen Köpfen mit der Technischen Hilfeleistung verbundenes Lagebild ist der Verkehrsunfall mit im Fahrzeug eingeklemmter Person. Unser Leitfaden für den Verkehrsunfall – Eingeklemmt soll analog zum Leitfaden Brandeinsatz (Leitfaden Brandeinsatz) oder auch ersteintreffendes Rettungsmittel (Leitfaden ersteintreffendes Rettungsmittel) der Führungskraft vor Ort als Hilfe und Gedankenstütze dienen, um in solch einem Einsatz strukturiert vorzugehen. Selbstverständlich widerspricht oder ersetzt dieser den Führungsvorgang, wie er nach DV 100 gelehrt wird, nicht. Vielmehr soll er durch die explizite Betrachtung eines Szenarios als Ergänzung dienen.

Auch in diesem Leitfaden gehen wir wieder in drei Schritten vor:

Erkundung

Die Erkundung beginnt gerade auch beim Verkehrsunfall schon mit der ersten Sicht auf die Einsatzstelle. Niemals sollte man vergessen, dass abhängig von beispielsweise den örtlichen Gegebenheiten und dem Unfallmechanismus die Einsatzstelle sehr viel weitläufiger sein kann als ein kurzer Straßenabschnitt. Sollte man die Einsatzstelle aus der Entfernung z.B. wegen einer Kurve nicht überblicken können, empfiehlt sich häufig auch eine weitläufigere Erkundung. Auch sollte das Gelände rechts und links der Straße (Felder, Wälder, …) nicht außer Acht gelassen werden. Oftmals überblickt man aus der Ferne (auf der Anfahrt) dies aber besser als aus der Perspektive direkt vor Ort.

An der Einsatzstelle selbst folgt die Erkundung dem klassischen Vorgehen alle Seiten einer Einsatzstelle zu betrachten. Vergesst hierbei niemals den Bereich unter den Fahrzeugen. 

Vier Leitfragen sollen euch helfen einen ersten Überblick zu erhalten und wichtige Informationen zu sammeln:

  • Wie viele Fahrzeuge sind beteiligt?
  • Wie viele Personen sind beteiligt und wie viele sind eingeklemmt?
  • Weitere Gefahren (z.B. Feuer)?
  • Welche Zugänge und Wege gibt es?

Natürlich darf bei weiteren Gefahren der fließende Verkehr nicht außer Acht gelassen werden. Das Absichern der Einsatzstelle sollte eine Standardmaßnahme sein.

Hinsichtlich der Zugänge und Wege gilt es neben denen für die Rettung direkt an den Fahrzeugen wichtigen Wege auch wieder die Einsatzstelle im Gesamten zu bedenken. Je nach Ausbausituation der Straße an dieser Stelle oder Ausmaß des Unfalls macht es möglicherweise Sinn Einsatzkräfte direkt aus verschiedenen Richtungen anfahren zu lassen.

Analyse

Wenn ihr einen Erkundungsauftrag an andere Kräfte eures Teams (Melder, Gruppenführer, Zugführer) erteilt habt, müsst ihr nun in erster Linie alle Informationen zusammenführen und ein einheitliches Lagebild erstellen. Gefahren müssen erkannt (nehmt hierfür im Kopf auch gerne die Gefahrenmatrix zur Hand) und im nächsten Schritt priorisiert werden. Die Beantwortung einer zentralen Frage kann helfen:

Wer bedarf wo zuerst unserer Hilfe?

Nicht immer kann dies auf eine Person oder einen Bereich an der Einsatzstelle festgelegt werden. Oft muss, abhängig von den verfügbaren Kapazitäten, parallel gearbeitet werden.

In die Priorisierung muss gerade bei diesem Szenario immer auch die Einschätzung des Rettungsdienstes einfließen. Welcher Patient ist am schwersten verletzt, welcher Patient muss zuerst gerettet werden? Bezieht deshalb frühzeitig das Erkundungsergebnis und die Expertise der rettungsdienstlichen Kräfte in die Analyse mit ein.

Ihr legt mit der Priorisierung den Schwerpunkt und das Ziel eures weiteren Vorgehens fest. Diese Festlegung sollte jedoch immer flexibel und dynamisch gehalten werden. Nicht selten ändert sich im Einsatzverlauf die Situation und ihr müsst neu priorisieren.

Planung

Im dritten Schritt plant ihr euer weiteres Vorgehen auf Basis der Erkundung und eurer durchgeführten Analyse. Der Plan muss strukturiert sein und auf der zuvor durchgeführten Priorisierung basieren. Unsere Aufteilung in vier Blöcke soll euch dabei helfen:

Taktik:

Im Zentrum der Taktik steht die Entscheidung über die Rettungsmethode. In die Entscheidung mit welcher Art der Technischen Rettung ihr die Person aus seiner Einklemmung befreit, fließen im Wesentlichen folgende Punkte ein:

  • Wie ist die Person eingeklemmt?
  • Wie ist das Fahrzeug verformt, welche Angriffspunkte bieten sich?
  • Welcher Rettungsmodus ist notwendig?

Was oftmals wie eine Bauchentscheidung wirkt, sollte anhand dieser Punkte und auf Basis einer präzisen Erkundung entschieden werden. Oftmals bringen wenige Augenblicke der Überlegung eventuell sogar gemeinsame Beratung hier für den weiteren Einsatzverlauf einen entscheidenden Mehrwert (Einsatzleiternotizblatt). Unauflösbar mit der Entscheidung welche Rettungsmethode angewendet wird, ist die Entscheidung, welche Mittel eingesetzt werden, verknüpft. Besonderes Augenmerk muss allerdings dann darauf gelegt werden, wenn mehrere Technische Rettungen parallel durchgeführt werden sollen. Hier kann es zu einem überschneidenden Bedarf an gleichen Gerätschaften kommen. Die parallele Rettung muss, ob an einer Einsatzstelle oder sogar an einem Fahrzeug zeitgleich durchgeführt, genauestens koordiniert werden und in aller Regel weitere Mittel angefordert werden.

Die Frage, welcher Rettungsmodus angewendet wird, sollte in enger Absprache mit dem Rettungsdienst erfolgen! In der Richtlinie der Vereinigung zur Förderung des deutschen Brandschutzes e.V. zur Technisch-medizinischen Rettung nach Verkehrsunfällen (vfdb 06-01:2019-05) werden zwei Rettungsmodi beschrieben:

  • Sofortrettung (sofortige Rettung, auch unter Tolerierung möglicher weiterer Schäden für den Patienten)
  • schnelle (zeitkontrollierte) Rettung (schnellstmögliche Rettung, aber unter Beachtung weiterer Aspekte – medizinische und einsatztaktische)

Die Entscheidung, welcher der beiden Rettungsmodi angewendet werden soll, hängt maßgeblich vom Patientenzustand ab. Am besten sorgt ihr bereits in der initialen Phasen dafür einen festen Ansprechpartner von Seiten des Rettungsdienstes zu definieren, um auch für die weitere Rettung eine sichere und klare Kommunikation zu gewährleisten.

Um die Gefährdung der Einsatzkräfte und der eingeklemmten Person zu minimieren, müssen die Unfallfahrzeuge zwingend stabilisiert werden. Nutzt hierfür die Vorstellung, dass sich an der vorgefundenen Lage erstmal nichts mehr ändern sollte. Kein Fahrzeug sollte sich von dem Ort, an dem es sich aktuell befindet, wegbewegen können. Das Einfrieren des Szenarios ist oft mit einfachen Mitteln wie einem Unterbau möglich – sollte aber nicht in den Hintergrund geraten.

Ordnung des Raums:

Da die Einsatzstelle – abhängig vom Ort des Verkehrsunfalls – oft auf die Breite von zwei Fahrstreifen limitiert ist, ist es nicht wichtiger, dass die Ordnung des Raums bereits in der initialen Phase erfolgt. Fahrzeuge, die direkt an der Technischen Rettung beteiligt sind, sollte ein möglichst nahes Heranfahren an die Unfallstelle ermöglicht werden. Andere Einsatzmittel können mit unter auch in einiger Entfernung zur Einsatzstelle aufgestellt werden.

Die Rettungsdienstfahrzeuge sollten, bis auf seltene Ausnahmen, nicht direkt an den verunfallten Fahrzeugen Aufstellung beziehen, sondern nach Möglichkeit in einiger Entfernung. Dadurch ist ein Abrücken zu jeder Zeit möglich und dies wird nicht durch andere Einsatzfahrzeuge oder aufgebautes Material behindert. Da der Rettungsdienst in seiner Materialnutzung und Versorgung grundsätzlich nicht an das Fahrzeug gebunden ist, sondern alle Materialien flexibel entnehmen und transportieren kann, behindert diesen eine Aufstellung des Fahrzeugs am Rand der Einsatzstelle kaum.

Neben der Fahrzeugaufstellung muss auch der Raum in dem die eigentliche Technische Rettung stattfindet gut, organisiert werden, um das begrenzte Platzangebot bestmöglich zu nutzen. Nach Festlegung der Taktik und abhängig von der Erkundung wird ein Zugangsraum zum Patienten gewählt. Der Begriff Zugangsraum wird hier gewählt, da neben der Zugangsöffnung im Fahrzeug auch unbedingt ein ausreichender Arbeitsplatz vor dieser Öffnung gegeben sein sollte. In unmittelbarer Nähe zu diesem Zugangsraum sollte eine Geräteablage etabliert werden und die Bereitstellung des Rettungsdienstes mit seinen Gerätschaften möglich sein.

Im Bild seht ihr eine mögliche Raumordnung beim Verkehrsunfall:

Der Zugangsraum (1) umfasst den gesamten Arbeitsbereich des Trupps, der die Technische Rettung übernimmt. In unmittelbarer Nähe findet sich die. Geräteablage (2). Das Einsatzfahrzeug, welches für die Technische Rettung notwendig ist (Materialentnahme, Stromversorgung etc.) ist als einziges bis an die Unfallstelle heran gefahren (3). Der Rettungsdienst hat mit seinem Material Aufstellung bezogen (4), der Rettungswagen jedoch ist abgesetzt und jederzeit abfahrbereit aufgestellt (nicht im Bild).

Logistik:

Unter diesem Punkt solltet ihr auch den Patiententransport nach erfolgter Technischer Rettung bedenken: Steht der Rettungsdienst bereit und kann schnellst möglich zurück zu seinem Rettungswagen gelangen? Ist der Transport mittels Rettungshubschrauber notwendig und wie gelangt der Patient zu diesem? Auch hier ist eine enge Kommunikation mit einem Ansprechpartner des Rettungsdienstes von Vorteil.

Um die optimale Menschenrettung zu gewährleisten, muss der Einsatzleiter neben der Organisation der Technischen Rettung auch den rückwärtigen Bereich im Blick haben. So sollte er frühzeitig dafür Sorge tragen, dass neben den Materialien, die für die gewählte Rettungsmethode notwendig sind, auch alternative Gerätschaften an der Einsatzstelle und der Geräteablage verfügbar sind. Dadurch kann bei notwendiger Ergänzung der Rettungsmethode oder gar völligem Versagen und Wechsel auf eine andere Rettungsmethode schnell reagiert werden.

Die Bereitstellung von materiellen und personellen Reserven versteht sich von selbst. Bedenkt an welcher Stelle ein zusätzlicher Kräftebedarf entstehen könnte und fordert im Zweifel frühzeitig nach.

Auch wenn die Einsatzhygiene bei der Technischen Rettung nicht den Stellenwert wie beim Brandeinsatz einnimmt, sollte man diese dennoch immer im Hinterkopf haben. Durch eine Grobreinigung an der Einsatzstelle kann das Verschleppen von Überbleibseln wie Glassplittern oder Stäuben und von Betriebsstoffen der Unfallfahrzeuge auf ein Minimum reduziert werden.

Notfallkonzept:

Die Basis eurer Sicherheitsüberlegungen sollte wie in jedem Einsatz daraus Bestehen, dass eure Einsatzkräfte ausreichende Schutzkleidung tragen. Zusätzlich sollte der Brandschutz während der Technischen Rettung sichergestellt sein. Abhängig von der Situation entscheidet ihr hier über die Notwendigkeit eines zweifachen oder gar dreifachen Brandschutzes. Wichtig ist jedoch, dass der Brandschutz nicht allein aus der Bereitstellung der bloßen Materialien besteht. Zusätzlich müsst ihr, vergleicht dazu den Punkt Logistik, Einsatzkräfte klar damit beauftragen, dass Brandschutz ihre Aufgabe ist. Nur so ist klar wer im Falle eines Falles bereit sein muss und schnell eingreifen kann. Oft gibt es vorab klare Konzepte, welche Schutzkleidung (z.B. Schutzbrille und Helm mit Visier, Handschuhe, …) getragen werden muss. Es empfiehlt sich jedoch als Einsatzleiter dennoch zusätzlich einen Blick darauf zu haben. Im Eifer des Gefechts kann manches schnell einmal in Vergessenheit geraten, was dem Blick von außen auf das Szenario jedoch auffällt.

Auch solltet ihr neben der Menschen- und eventuellen Tierrettung nie die Gefahren für die Umwelt außer Acht lassen. Es gilt auslaufende Betriebsstoffe frühzeitig zu erkennen und deren Ausbreitung einzudämmen.

An dieser Stelle schließt sich auch der Kreis zum bei der Taktik entschiedenen Rettungsmodus. Bekanntlich sind Einsatzszenarien immer dynamisch und auch der Zustand der eingeklemmten Person kann sich jederzeit verändern. So ist es möglich, dass bei Zustandsverschlechterung (bleibt dafür unbedingt in enger Absprache mit dem Rettungsdienst) ein Wechsel von der zeitkontrollierten zur Sofortrettung notwendig wird. Habt für diesen Fall immer eine Rettungsmethode, das Material hierfür und ein mögliches Vorgehen parat.

Der Einsatz der Technischen Rettung bietet eine Fülle an Aspekten, die es zu bedenken gilt. Mit der notwendigen Struktur und einem klaren Vorgehen können gewisse Schritte standardisiert werden und euch bleibt mehr Zeit über die individuellen Punkte nachzudenken. Eine Möglichkeit der Strukturierung bietet euch dieser Leitfaden. Am Ende der Planung angekommen, sollte das Vorgehen wie üblich wieder mit einer Erkundung – Analyse und ggf. mit einer angepassten oder gar erneuten Planung reevaluiert werden.