Leitfaden ersteintreffendes Rettungsmittel

Der Einsatz als ersteintreffendes Rettungsmittel stellt an dessen Besatzung ganz besondere und wenig alltägliche Anforderungen. In der Regel gerät taktisch nur begrenzt geschultes oder in diesem Bereich nur wenig erfahrenes Personal in die anspruchsvolle Situation die ersten Minuten eines Einsatzes führen zu müssen. 

Es sei hier explizit darauf verwiesen, dass man von den Einsatzkräften in diesem Moment regelhaft das Führen des Einsatzes erwartet, d.h. die Einsatzkräfte vor Ort zu führen und den Einsatz mit den anderen Fachdiensten zu koordinieren. Dem gegenüber steht das Leiten eines Einsatzes, was defintionsgemäß bedeutet neben umfangreicherer Aufgaben und Pflichten auch die Verantwortung für den Einsatz zu übernehmen. Eben dies wird aber nur von geschultem und zur Ausübung der Aufgabe des Einsatzleiters berechtigten Person verlangt. 

Jedoch ist auch das Führen eines Einsatzes in den ersten oftmals sehr chaotischen Phase eine anstrengende Aufgabe, die den Kräften ein hohes Maß an Konzentration und Professionalität abverlangt.

Selbstredend empfiehlt sich auch in dieser Situation das Anwenden am Führungskreislauf der DV 100. Die im Folgenden dargelegte Handlungshilfe orientiert sich an diesem und ermöglicht lediglich eine auf diese Situation zugeschnittenen Darstellung. Zielgruppe sind neben Rettungsdienstmitarbeitern auch First Responder-Einheiten und Feuerwehren, die frühzeitig die Organisation einer Einsatzstelle für den Rettungsdienst übernehmen.

Entsprechend der in der Notfallmedizin etablierten Akronyme, die es dem Anwender ermöglichen sich viele aufeinander folgende Handlungen strukturiert zu merken, wurde für die einsatztaktischen Aufgaben des ersteintreffenden Rettungsmittels das taktische CABC (Check – Analyse – Brainstorming – Control) entwickelt.

Check

Dieser Punkt ist vergleichbar mit der Erkundung gemäß DV 100. Ihr beginnt bestmöglich bereits beim Ausrücken diesen Punkt zu bearbeiten.

Fragen,

  • wie die Witterungslage (Regen, Sonnenschein, Glätte, …) ist,
  • die Örtlichkeit der Einsatzstelle (Wohngebiet, Landstraße, Autobahn, …) und mögliche
  • Besonderheiten, die bereits aus der Alarmierung ersichtlich sind,

lassen sich schon auf der Anfahrt im Teamgespräch erörtern.

Tipp: oftmals lohnt sich auch der schnelle Blick in die Karte (gerne auch online Kartenmaterial) um sich die Infrastruktur und das Gelände an der Einsatzstelle vorab vertraut zu machen. Möglicherweise könnt ihr anhand dessen bereits eine Idee zur Fahrzeugaufstellung entwickeln – endgültig entschieden werden kann diese natürlich erst bei Sicht auf die Einsatzstelle.

Sozusagen die heiße Phase beginnt eben genau dann, wenn die Einsatzstelle in Sichtweite ist. Nun solltet ihr aufmerksam euren Blick einmal von rechts nach links über die Einsatzstelle schwenken um den Umfang und das Geschehene möglichst einmal zu erfassen. 

Es empfiehlt sich in dieser Situation eine Lage auf Sicht an die Leitstelle durchzugeben, in der ihr die folgenden Punkte ansprechen könnt:

  • Bestätigung oder Korrektur der Einsatzstelle,
  • erste Beschreibung, was geschehen ist (z.B.: Verkehrsunfall mit drei PKW),
  • Passierbarkeit der Einsatzstelle (z.B.: die Einsatzstelle ist aufgrund der Trümmer nicht mehr passierbar).

Enden sollte diese Lagemeldung mit der Angabe: „aus zum Erkunden“, denn damit ist für jeden ersichtlich, dass dieses Einsatzmittel die ersten taktischen Aufgaben wahrnimmt und etwaige Diskussionen werden ausgeschlossen.

Mit dieser kurzen und präzisen Einschätzung der Lage noch während der Anfahrt auf die Einsatzstelle kann den nachrückenden Kräften und vor allem der Einsatzleitung ein guter Einblick in die Situation geschaffen werden.

Nachdem das Fahrzeug dann taktisch günstig positioniert wurde startet der Löwenanteil des Checks. Die Einsatzstelle muss unter taktischen Gesichtspunkten möglichst umfangreich aber auch zügig erkundet werden. Wichtige Punkte, auf die es unbedingt zu achten gilt, sind im Merkblatt genannt:

Was ist passiert? Handelt es sich um ein Brandereignis, einen Verkehrsunfall oder anderes, lässt sich das Schadensausmaß grob erahnen (Wohnhaus in Vollbrand vs. Zimmerbrand im ersten Obergeschoss)?

Wie viele Patienten? Der für den weiteren Aufbau des rettungsdienstlichen Einsatzes wohl entscheidenste Punkt! Der Überblick, um wie viele Patienten es sich handelt, sollte frühzeitig stehen, um schnellstmöglich ausreichend Kräfte an die Einsatzstelle nachfordern zu können. Selbstredend wäre auch eine erste Einschätzung des Gesundheitszustands der Patienten von Vorteil für die weitere Kräfteplanung. Da eine adäquate Vorsichtung durchaus Zeit in Anspruch nehmen kann, ist es gerade bei der ersten Erkundung legitim sich auf eine erste Einschätzung zu beschränken. Diese erste Einschätzung enthält die Beurteilung, ob der Patient gehfähig oder nicht gehfähig ist.

In manchen Bundesländern gibt es eine einheitlich geregelte Kennzeichnung des ersteintreffenden Rettungsmittels (hier im Bild am Beispiel Bayern die Weste 1. RTW). Neben der Persönlichen Schutzausrüstung sollte die Besatzung an der Einsatzstelle aber in jedem Fall auch das Handfunkgerät und gegebenenfalls etwas zum Schreiben mit sich führen.

Wo sind Personen? Dieser Punkt beinhaltet auch die Überlegung, ob sich die Personen in einer Zwangslage befinden. Also sind noch Personen im Brandgeschehen (in der brennenden Wohnung, auf einem Balkon, auf dem Dach) oder befinden sich noch Personen in den Unfall-PKWs? Bei letzterem Punkt wird oftmals die Frage diskutiert, ob die Person eingeklemmt oder eingeschlossen ist. Aus rettungsdienstlicher Sicht macht dies zu diesem Zeitpunkt kaum einen Unterschied und auch die Feuerwehr benötigt für beide Szenarien eine ähnliche materielle und personelle Ausstattung. Es ist somit im ersten Moment gar nicht so entscheidend diese häufig gar nicht so einfach zu klärende Frage zu beantworten. Im ersten Moment darf man gerne davon ausgehen, dass die Person eingeklemmt ist, wenn ein Ausstieg aus dem Fahrzeug nicht mehr möglich ist.

So wie auf der rechten Seite dargestellt könnte das Ergebnis des ersten Checks bei einem Verkehrsunfall aussehen!

Und mit diesem erledigten C(heck) im Kopf oder stichpunktartig notiert geht es weiter.

Analyse

Dieser Punkt ist angelehnt an die Beurteilung gemäß DV 100.

Nach erfolgter Informationssammlung (Check) ist es wichtig die Probleme und damit Tätigkeitsschwerpunkte zu identifizieren und direkt anschließend zu priorisieren. So ist es in aller Regel logisch, dass der schwer verletzte, eingeklemmte Patient Behandlungspriorität vor dem leicht verletzten, am Straßenrand stehenden Patienten hat.

Auch wenn dieser Punkt relativ knapp und fast schon einfach abzuarbeiten scheint, ziehen hier getroffene Beurteilungen wichtige Konsequenzen nach sich, beispielsweise welchem Patienten wird das nächste eintreffende Rettungsmittel zugeteilt, welcher Patient benötigt den soeben eintreffenden Notarzt am dringensten.

Bezüglich der Priorisierung gibt es gewisse Hilfestellungen, die euch die Entscheidung erleichtern können:

Wie zuvor beschrieben kann man die Patienten in einem ersten Überblick in gehfähig und nicht-gehfähig einteilen. Bei gehfähigen Patienten geht man zunächst davon aus, dass diese leichter verletzt sind als nicht-gehfähige, darum ist die Priorisierung der nicht-gehfähigen dringlicher. Sobald ein detaillierteres Vorsichtungsergebnis vorliegt, müsst ihr die Priorisierung gegebenenfalls anpassen oder diese verfeinern. In Hinblick auf Absprachen mit der Feuerwehr und deren Rettungsmaßnahmen sind selbstredend eingeklemmte Personen, Personen in der Brandwohnung oder in anderweitiger Zwangslage befindliche Personen dringlicher als befreite.

Basierend auf dem Beispiel zuvor, könnte eine Priorisierung in der Analyse wie rechts dargestellt aussehen!

Brainstorming

Dieser Punkt ist vergleichbar mit der Einsatzplanung gemäß DV 100. 

Ihr entwickelt einen Plan, wie auf Grundlage der gewonnenen Informationen und der Priorisierung der Probleme der Einsatz in den nächsten Minuten ablaufen soll. Um bei dieser nicht wenig komplexen Aufgabe den Überblick zu behalten, wurde sie in vier Bausteine gegliedert: Taktik, Ordnung des Raumes, Logistik, Notfallkonzept.

Die im Baustein Taktik zu beachtenden Punkte sind besonders eng mit der Analyse verbunden. Es muss entschieden werden, in welcher Reihenfolge die Patienten die nach und nach anrückenden Einsatzmittel zur Versorgung erhalten. Ebenso die Überlegung welcher Patient benötigt welches Rettungsmittel: ist ein Rettungswagen ausreichend? Wird zusätzlich ein Notarzt benötigt oder ist gar der Einsatz eines Rettungshubschraubers sinnvoll? Genauso beinhaltet dies den Gedankengang, welcher leichter verletzte Patient möglicherweise zunächst auch von First Respondern oder Feuerwehreinsatzkräften erstversorgt werden müssen, weil sich das Eintreffen des Rettungsmittels noch verzögert. Mit diesen Entscheidungen (und es ist wichtig, dass ihr hier entscheidet und es nicht nur bei der Überlegung bleibt) ergibt sich auch die Konsequenz, wie viele Rettungsmittel insgesamt an der Einsatzstelle benötigt werden. Als grobe Faustregel darf man sich hier merken: jeder Patient – einen Rettungswagen, jeder Schwerverletzte – zusätzlich einen Notarzt.

Nach der Taktik gilt es die Ordnung des Raumes festzulegen, im Endeffekt: Wo stellen sich die Fahrzeuge so auf, dass sie gut einsetzbar sind, nicht im Weg stehen und – für den Rettungsdienst besonders wichtig – auch wieder abrücken können? Keine ganz einfache Frage, die möglicherweise auch hier schon den Kontakt zu anderen Einsatzeinheiten (vgl. im Folgenden Logistik) im Hinblick einer Absprache benötigt.

Bedenkt unbedingt: die festgelegte Raumordnung muss der Leitstelle über Funk mitgeteilt werden, sonst können die anfahrenden Kräfte nicht reagieren!

Sollen Einsatzmittel noch nicht direkt zum Einsatz kommen und in Reserve gehalten werden lohnt es sich einen Bereitstellungsraum zu definieren (vgl. Artikel Bereitstellungsraum). Beim Einsatz von Luftrettungsmitteln ist es wichtig einen möglichen Landeplatz zu definieren, also eine Freifläche ohne herumliegende lose Teile oder Hindernisse in der Luft, die sich in einem gewissen Sicherheitsabstand zur Einsatzstelle befindet. Auch die Landemöglichkeit sollte der Leitstelle im Hinblick auf die anfliegenden Rettungsmittel mitgeteilt werden, auch wenn sie schlussendlich nicht immer vom Piloten genutzt werden.

Im Baustein Logistik gilt es vor allem den Kontakt zu anderen am Einsatz beteiligten Fachdiensten zu suchen, in der Regel Feuerwehr und Polizei. Sprecht mit deren Führungskräften Dinge wie den Übergabepunkt der Patienten von der technischen Rettung an den Rettungsdienst, Grenzen des Gefahrenbereichs und auch wo sich welcher Fachdiensten aufstellen kann, sodass man sich untereinander nicht in die Quere kommt, ab.

Im vierten Baustein, der chronologisch durchaus auch am Anfang kommen darf, bedenkt ihr euer eigenes Notfallkonzept: tragen die Einsatzkräfte vollständige Schutzausrüstung oder wurde etwas vergessen anzulegen? Muss ich den Einsatzkräften einen gewissen Gefahrenbereich z.B. bei Gefahrguteinsätzen, den die Feuerwehr festgelegt hat, mitteilen, den es unbedingt zu meiden gilt? Und auch die Frage, ob Einsatzmittel in Reserve gehalten werden müssen und ich möglicherweise mehr Kräfte benötigen könnte (z.B. zum Schutz meiner eigenen Leute bzw. der Feuerwehr) als auf den ersten Blick scheint bzw. es Patienten gibt.

Im Anschluss an Check – Analyse – Brainstorming setzet ihr den von euch auf Grundlage der eingeholten Informationen und deren Beurteilung entwickelten Plan in die Tat um. Zu diesem Zweck werden Fahrzeuge vor Ort durch euch beauftragt, neu eintreffende Einsatzmittel eingewiesen und eine Lagemeldung an die Leitstelle abgegeben. Diese Lagemeldung sollte mindestens eine kurze und knappe Beschreibung der Lage, die Anzahl der Patienten mit deren zum aktuellen Zeitpunkt erhoben Zustand und eine Nachforderung weiterer Kräfte beinhalten.

Control

Nach den Anweisungen zur Umsetzung des Plans und Lagemeldung an die Leitstelle erfolgt die Control und zwar solange, bis die Übergabe an den Einsatzleiter erfolgen kann. Control enthält, ähnlich dem medizinischen Vorgehen, eine Reevaluation der Situation. Dies kann anhand eines erneuten Durchgangs des CABC erfolgen, jeweils in variablem Umfang. In jedem Fall solltet ihr euch versichern, ob sich an der initial erkundeten Lage etwas geändert hat und ob die bisher veranlassten Maßnahmen greifen oder ob an einer Stelle Nachbesserungsbedarf besteht.

Manche initial zu Gunsten der Zeit vielleicht sehr zügig abgearbeiteten Fragen können nun bei Control detaillierter betrachtet werden. Ein Beispiel hierfür ist die Konkretisierung der initialen Patienteneinschätzung hinzu einer korrekten Vorsichtung oder gar Sichtung.

In der Zusammenschau wird deutlich, dass viele Punkte zu bedenken sind! Nicht alle sind gleich im ersten Durchgang des CABC zu erfassen oder werden zu Gunsten der Zeit auch vielleicht erst bei der Reevaluation bedacht. Dies variiert stark von Einsatz zu Einsatz. Wichtig ist ein möglichst strukturiertes Vorgehen in dieser Situation, weil dadurch das Vergessen wichtiger Punkte weitestgehend ausgeschlossen werden kann. Hierbei kann euch das taktische CABC helfen.